Kulturpolitische Grundsatzthesen

Für die Kulturpolitik in Augsburg schlägt die Polit-WG folgende 8 Thesen zur Orientierung als Diskussionsgrundlage vor:

1. Avantgarde und Underground statt Mainstream und Pop

Avantgarde und Underground sind nicht nur spannender als Mainstream und Pop, sie eignen sich auch strategisch wesentlich besser als Ankerpunkte für eine kulturelle Neupositionierung Augsburgs – zumal im Wettbewerb mit anderen Städten. Denn seien wir mal ehrlich: Es ist unrealistisch zu denken, dass Augsburg im Bereich der etablierten (Hoch-)Kultur im Vergleich etwa zur wesentlich größeren und finanzkräftigeren Nachbarstadt München positiv hervortreten kann. Man wird, wie aktuell, maximal solides Mittelmaß erreichen können. Doch für Mittelmaß sollte eigentlich jeder Euro zu schade sein. Deshalb ist ein Umdenken gefragt. Lassen wir also ruhig München und andere Städte, die in diesem Spiel mitspielen wollen und können, die Millionen für die Subvention der (klein-)bürgerlichen Konzert- und Theaterkultur ausgeben. Vielleicht sogar unterstützt man all diejenigen, die diese Angebote wahrnehmen möchten, indem jeder Bürger pro Jahr ein Bayernticket erstattet bekommt, wenn er sein Theater- oder Konzertticket vorlegt.

Zum Glück (?) passiert ja auch andernorts nicht so viel Innovatives. Es ist deshalb durchaus ein realistisches Ziel, diese Lücke zu füllen. Wer Mainstream und Pop sehen und erleben will, fährt ggf. woanders hin. Wer sich für Avantgarde und Underground interessiert, kommt gerne nach Augsburg. Und was das Augsburger Kulturleben selbst betrifft: Hier soll es keine Gegenstellung zwischen Hoch- und Subkultur geben, sondern vielmehr einen regen Austausch und gegenseitige Befruchtung mit dem Ziel, diese willkürlich gezogenen Grenzen zu überwinden. Gefördert werden soll, was spannend und innovativ ist – und was deshalb Förderung benötig, weil es nicht ausgetretene Pfade weiter beschreitet, sondern neues wagt. Dabei kommt diesem Ansatz zugute, dass man im Bereich Avantgarde und Underground beim selben Mitteleinsatz wahrscheinlich eine viel höhere Qualität erhalten wird, denn hier sind meist junge, nicht-etablierte Künstler tätig, die hoch motiviert und ideenreich vorgehen.

Um zum Erfolg zu gelangen, ist es sicher ein weiter Weg, und es erfordert ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen – was nicht ohne Widerstände bleiben wird. Aber es gibt Vorbilder, wo es gelungen ist: andere (kleinere) Großstädte – wie Kassel (mit der dOCUMENTA), Wuppertal (mit seinem Tanztheater) oder Linz (Ars Electronica, Lentos etc.) –, die sich durch eine geschickte Positionierung nicht nur einen (international bekannten) Namen geschaffen haben, sondern wo auch Spannendes passiert.


2. Kunst als Kapital

Kunst und Kultur benötigen Geld, aber gleichzeitig sind sie auch ein Kapital. »Downsizing«, das Einschmelzen von Kulturetats, ist deshalb ein kurzsichtiger Ansatz des Sparens. Denn Kunst und Kultur sind nicht nur eine Bereicherung für das Leben der Menschen, sondern auch Magneten für Tourismus und für kluge (und gut verdienende) Köpfe sowie ein symbolisches Kapital, das durchaus den Ausschlag geben kann, wenn es um die Ansiedlung einer Firmenzentrale geht. Das bedeutet nicht, dass Kunst und Kultur primär unter dem Aspekt ihrer ökonomischen Nebeneffekte gesehen werden sollten – aber diese Nebeneffekte sollten gleichzeitig auch nicht unterschätzt werden. Deshalb muss die Strategie – wenn man sich auch hier an die Managementsprache anlehnen will – lauten: grow to be great!

Gerade in Augsburg ist eine Aufstockung des Kulturetats dringend nötig – denn im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten sind die Prokopfausgaben für Kultur hier gering – und zwar eine Aufstockung in allen Bereichen. Was unbedingt vermieden werden muss, ist ein Gegeneinander zwischen Hochkultureinrichtungen mit hoher Fördersumme (wie etwa dem Stadttheater) und finanziell schlecht ausgestatteten subkulturellen Initiativen (wie etwa dem Grand Hotel). Bei letzteren muss die Aufstockung zwar prozentual weitaus höher ausfallen. Aber es gibt auch gute Argumente die bestehenden Institutionen finanziell um einiges besser zu stellen. Denn nur mit besserer finanzieller Ausstattung kann hier die Qualität geliefert werden, die Augsburg eigentlich verdient hätte.

Allerdings muss die Mittelaufstockung insbesondere in diesem finanziell hochintensiven Bereich eben zwingend unter die Bedingung gestellt werden, dass eine entsprechende Gegenleistung erfolgt: spannende, innovative Projekte, Dinge die relevant sind und deshalb wahrgenommen werden (siehe auch Punkt 1) – auch überregional, international. Gelingt dies nicht, muss man sich die Frage stellen, ob diese Institutionen überhaupt noch in dieser Form ihre Berechtigung haben. Der Vorschlag lautet also in einem vordefinierten, aber längeren Zeitraum (von z.B. zehn Jahren) die Mittel aufzustocken und Meilensteine zu definieren. Diese relativ lange Zeit ist notwendig, um die notwendigen Strukturen und personellen Änderungen mit Chancen auf einen durchschlagenden Erfolg durchführen zu können. Sind am Ende die Ziele nicht erreicht, wird ein Exit-Prozess eingeleitet, wobei die sukzessive freiwerdenden Mittel der freien Szene zufließen sollen. Hier wie dort gilt: Geld soll klug eingesetzt werden und das bedeutet da, wo es am meisten bewirken kann: bei Menschen und in Ereignisse, anstatt in Dinge wie Gebäude. Irgendwann (bald) werden die Leute dann vielleicht nicht von den günstigeren Mietpreisen nach Augsburg gelockt, sondern weil es einfach »cooler« und lustvoller ist, hier zu leben, hier zu sein.


3. Haucht dem Museum Leben ein

Augsburg ist eine Stadt mit langer Geschichte und es wäre eine Dummheit, diese Geschichte mit ihren Hoch- und Tiefpunkten nicht zu würdigen, indem man kulturell an sie anknüpft. Und natürlich muss eine Stadt, in der bedeutende Künstler wie die Holbein, die Familie Mozart oder Bert Brecht gelebt und gewirkt haben, mit diesen Pfunden wuchern. Aber man muss es nicht in einer historisierenden Weise tun, sondern, wenn man etwa an Brecht denkt, so gilt es das, was dieser initiiert hat, weiter zu treiben, also Revolution des Theaters voranzutreiben. Und anstatt Mozartkonzertreihen könnte man sich (als Stadt, auf breiter Ebene wie im Spitzenbereich) auf das besinnen, was die Familie Mozart möglicherweise auszeichnete: die musikalische Frühförderung. Man könnte diese Beispiele fortführen. Zentral ist jedoch zu begreifen, dass ein zukunftsweisender historischer Bezug nicht in der Musealisierung der Kunst besteht, sondern darin, dem Museum Leben einzuhauchen, in Bezug zum Alten Neues zu schaffen. In Zukunft soll man nämlich nicht, wie die berühmten Söhne der Stadt, aus Augsburg »flüchten« müssen, um in der Kunst voran zu kommen, sondern hierher pilgern.


4. Kulturschaffende aller Länder vereinigt Euch: Förderung der nationalen und internationalen Vernetzung der Kunst- und Kulturszene

Die nationale und internationale Vernetzung der Augsburger Kunst- und Kulturszene muss gefördert und intensiviert werden, um den Anschluss an aktuelle Entwicklungen und Diskurse sicherzustellen. Hierfür gilt es geeignet Strukturen zu schaffen. Ein wesentlichen Element dabei könnten etwa diverse »Artist in Residence«-Programme sein. Diese wären nicht nur relativ günstig umzusetzen (neben – vorhandenen – Räumen würden pro Kopf und Monat schon wenige hundert Euro genügen), sondern würden sicherstellen, das Augsburg als Ort, in dem Kunst und Kultur einen hohen Stellenwert haben, wahrgenommen wird – alleine schon durch die vielen Bewerbungen. Und nicht zuletzt wohnenden und arbeiten ständig interessante Künstler in der Stadt, die Impulse von außen geben, Dinge Anstoßen und natürlich auch Anregungen aus der Augsburger Szene mit nach Hause nehmen. In umgekehrter Richtung müssen auch Reisen und Auslandsaufenthalte von Augsburger Künstlern über Stipendien und Zuschüsse gefördert werden. Und schließlich gilt es, zumindest ein internationales Festival von Rang in Augsburg zu etablieren, um Augsburg als Ort, wo innovative Kunst stattfindet, überregional bekannt zu machen.


5. Die Stadt als Kunst-Raum

Der gesamte Stadtraum ist als kulturelle Sphäre aufzufassen, in der kontinuierlich Ereignisse stattfinden (können). Neben der (großzügig zu genehmigenden) Nutzung des öffentlichen Raumes sind vor allem permanente Kunst- und Kulturräume zu schaffen. Die gängige Praxis der temporär und Zwischennutzung von Brachen und sonstigen nicht anders »verwertbaren« Räumen soll nur komplementär (als Zusatzräume) erfolgen. Besonders wichtige sind zentrale Kristallisationspunkte des kulturellen Lebens wie Kultur- und Jugendzentren. Hier gilt es nicht nur in jedem Stadtteil, sondern insbesondere im Zentrum der Innenstadt entsprechende Gebäude (mit einsprechender sachlicher und personeller Ausstattung) zur Verfügung zu stellen, die sich verschiedenartig nutzen lassen (für Konzerte, Informationsveranstaltungen, Workshops, Filmabende, Ausstellungen etc.).


6. Kultur als Lebensmittel

Eine reiche urbane Kultur ist ein unabdingbares Lebensmittel. Es gilt durch Kultur Lebendigkeit und Ereignisse zu schaffen, die ein erfülltes Dasein ermöglichen. Das impliziert gleichzeitig, dass Kultur für alle sozialen Schichten verfügbar (und das heißt auch und gerade leistbar, bezahlbar) sein muss. Im Sinne des Rechts der Kulturellen Teilhabe gilt es entsprechende Angebote (Verbilligungen etc.) zu schaffen.


7. Für eine integrative Kultur: Re-Mix und Hybridisierung

Die Zeit des Multikulturalismus ist – zum Glück – (über all nur nicht hier) vorbei. Denn in diesem Konzept findet tatsächlich eine Re-Ethnisierung statt, die Personen in folkloristische Identitätskorsetts einzwängt. Trotzdem muss kulturelle (und individuelle) Vielfalt natürlich ihren Raum haben, jeder Homogenisierungstendenz wird eine klare Absage erteilt. Deshalb sind Konzepte wie Hybridisierung und Re-Mix gefragt, die aus verschiedenartigen Elementen Neues zusammensetzen und dadurch Möglichkeiten zur Entfaltung auch von Andersartigkeit und Zweideutigkeit schaffen, vorgegebene Identitätsmuster aufbrechen. Nur so wird der Raum geboten für eine positive (d.h. ermöglichende) Integration aller Bürger.


8. Kunst als Politik des Unmöglichen

Kunst ist nicht als »l’art pour l’art«, als Selbstzweck zu begreifen, sondern gefragt ist eine gesellschaftlich relevante Kunst und Kultur, die einen Bezug zur Gegenwart und zur konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen hat, die sich einmischt und deshalb politisch ist. Eine Kunst als Anreger und Aufreger, die symbolisch-ästhetische »Blaupausen« für den kreativen Neuentwurf der Gesellschaft liefert. Kunst ist genau politisch, indem sie das Gegenteil der Politik (als der »Kunst des Möglichen«) verfolgt: als Politik des Unmöglichen, als notwendige Intervention, die sich der instrumentellen Logik entzieht, im Dienst der Vision einer Welt, nicht wie sie ist, sondern wie sie sein könnte.